Das E-Werk - eine Einheit von Wohn- und Industriegebäude in Gernsheim zur Zeit des Jugendstils

 Vom Elektrizitätswerk zur Sammlung historischer Drucktechnik

 

 Lange war die Elektrizität für den Menschen eine Erscheinung, die er nur aus der Natur kannte, zum Beispiel vom Blitzschlag, von den Eisen anziehenden Steinen aus der Stadt Magnesia in Griechenland oder der Papier anziehenden Kraft des geriebenen Bersteins. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts gelangen die Nachweise, dass der Blitz ein elektrisches Phänomen war und kein Faustschlag erboster Gottheiten und die magnetische und elektrische Anziehungskraft kein Zauber.

 Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts gab es mit der Telegraphie und der Galvanisierung erste technische und  industrielle Anwendungen der Elektrotechnik, die elektrische Energie kam jedoch noch aus Batterien. Zu wirtschaftlicher Bedeutung fehlten noch leistungskräftige elektrische Maschinen zur Stromerzeugung, die erst nach Entdeckung des dynamoelek-trischen Prinzips zum praktischen Einsatz kamen. Mit der Verbesserung der Generatoren ging die Entwicklung leistungsfähiger Bogen- und Glühlampen einher. Erst dieser Fortschritt machte die elektrische Beleuchtung konkurrenzfähig zu den unhandlichen Gas- und Petroleumlampen. Durch Betätigung eines Schalters wurde nun im „Handumdrehen“ Licht. Erste Elektrizitätswerke entstanden, deren Aufgabe vorrangig die Sicherstellung der Beleuchtung war.  Wurden die Generatoren anfangs noch mit Dampfmaschinen betrieben, erfolgte ab 1900 der Wechsel zu den leistungsfähigeren Dampfturbinen und Dieselmotoren.

 Vielerorts entschied man sich Anfang des 20. Jahrhunderts aus Kostengründen noch für die alte Technik. So auch in Gernsheim, mit dem Ergebnis, das schon bald nachgerüstet werden musste. Um die Lastenunterschiede in den Gleichstrom-Elektrizitätswerken auszugleichen, verwendete der Betrieb Bleiakkumulatoren, die in Zeiten schwachen Verbrauchs geladen wurden. Bei Stillstand der Generatoren gaben sie den geladenen Strom ab. Der Nachteil des niedrigen Gleichstromes war seine geringe Reichweite. Eine Betriebsspannung von 110 Volt, die auf die noch empfindlichen Glühlampen abgestimmt war, konnte nur etwa 600 Meter transportiert werden, da sonst die Energieverluste auf den Leitungen zu hoch waren. Daher wurden Kraftwerke regelhaft im Stadtzentrum errichtet. Erst längere Zeit nach der Entwicklung von Gleichstrommotoren wurden Dreh- und Wechselstrommotoren einsetzbar. Damit bahnte sich eine Entscheidung an, die dem Dreh- und Wechselstrom vor dem Gleichstrom den Vorzug gab. So wurden hohe Spannungsverluste beim Weiterleiten vermieden. Schon bald konnten durch den Einsatz von höheren Spannungen und Transformatoren flächendeckende Versorgungssysteme errichtet werden: Kraftwerke wurden außerhalb der Städte angesiedelt.

 Unter Vorsitz des großherzoglichen Bürgermeisters Nuß fand am Sonntag, dem 5. April 1903, eine Versammlung im Darmstädter Hof in Gernsheim statt. Schon längere Zeit stand damals die „Beleuchtungsfrage“ auf der Tagesordnung  des Gemeinderates. In drei Abschnitten behandelte Geheimrat Dr. Krätzer aus Darmstadt, was Elektrizität ist, wie sie fortgeleitet wird und wie sie im geschäftlichen und wirtschaftlichen Leben verwendet werden kann. Besondere Bedeutung schenkte er der „Beleuchtungsfrage“, wobei er betonte, „dass die Elektrizität infolge der praktischen, hygienischen und finanziellen Vorteile allgemeine Anerkennung finden müsste“, insbesondere wegen der Vorteile gegenüber der unhandlichen Gas- und Petroleumlampen.  

 Dennoch  war die Bevölkerung verunsichert, so dass viel Überzeugungsarbeit zu leisten war. Im "Rheinischen Boten" wurde unter anderem klargestellt, dass eine Glühlampe wirklich nur dann Strom verbraucht, wenn sie auch leuchtet, dass ein Kurzschluss nicht automatisch zum Hausbrand führt. Die Kilowattstunde sollte mit 50 Pfennig angesetzt werden, was damals in etwa einem Stundenlohn entsprach.   

 Am 7. Juni 1904 erhielt die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft Berlin, Instandsetzungs- büro Frankfurt am Main, den Zuschlag. Damit einher ging die Verpflichtung, Maschinen der Dingler’schen Maschinenfabrik in Zweibrücken und Kessel der Firma Rodberg in Darmstadt zu verwenden. Arbeiten, die in Gernsheim auszuführen waren, sollten möglichst auch an ansässige Handwerksmeister vergeben werden.

  Ab 12. August 1904 wurden die Baugewerke vergeben: Mit den Erd- und Maurerarbeit  wurde Jakob Schnatz II. mit der Maßgabe beauftragt, die Maurer Adam Bonn II., Jakob Meister, Michael Meister und eventuell Georg Haas und Wilhelm Draut an dem Bau mitzubeschäftigen. Die nicht näher bezeichnete  Materiallieferung wurde an Hermann Hofmann vergeben, die Steinhauerarbeit an Katzenbächer und Schneider, die Zimmer-arbeit an Andreas Maus II., mit der Auflage, den Zimmermann Karl Andres III. mitzubeschäftigen. Den Zuschlag für die  Metalllieferung erhielt Ferdinand Weil, die Spenglerarbeit ging an Valentin Röschner. Schreinerarbeiten waren von Nicolaus Wunderle V. zu erbringen, der Peter Schwinn einen Teil der Arbeit zu übertragen hatte. Für die Schlosserarbeiten (Fenster) erhielt Anton Konrad Bicht in Gernsheim den Zuschlag, für die Dachdeckerarbeiten und das Holzzementdach Heinrich Weiler in Darmstadt. Der Auftrag für die Boden- und Terazzoarbeiten ging an Mastenstein und Josseaux in Offenbach, jener für die Blitzableiteranlage an Hermann und Sohn in Mannheim.

 Am 12. Dezember 1904 wurde die Maschinenmeisterstelle des Elektrizitätswerkes mit einem Jahresgehalt von 1500 Mark an Franz Joseph Knecht übertragen. Wohnung, Brand und Licht waren für ihn frei. Knecht wurde damit der erste Leiter des Elektrizitätswerkes. Die Heizerstelle besetzte ab 16. Januar 1905 Nicolaus Staab II. 

 Der Kostenvoranschlag vom 7. Juni 1904 belief sich auf 190.000 Mark. Es wurde eine Betriebsrechnung aufgestellt, in der bei voller Ausnutzung des Werkes 26.000 Mark Einnahmen Ausgaben von 19.600 Mark gegenüberstanden. Man erwartete eine Rentabilität von 6.400 Mark jährlich. Es wurde eine Einheit aus Wohn- und Industrie-gebäude in einer sachlichen Jugendstilarchitektur errichtet. In das asymmetrisch konstruierte Haus mit bis zu 70cm starken Backsteinwänden sind große Metallgitterfenster zur Belichtung eingebaut. Scharrierte Sandsteingewände fassen die Kiefernholztüren und gegliederten Holzfenster ein. Die Sandsteine der Stützpfeiler und des Kaminsockels sind bossiert, die Basalttreppe mit einer Schnecke aus rotem Pfälzer Sandstein versehen. Im Maschinenhaus gesellen sich zum Terazzoboden grün glasierte Wandplatten mit honiggelbem Abschlußrelief. Als Fensterbänke ist polierter „Belgischer  Granit“ in schwarzer Farbe mit Einschlüssen von Kleinfossilien gesetzt. Hoch oben ist auf dem warmgräulichen Anstrich mit weißer Kreidefarbe ein teilweise erhaltenes Jugenstilband schabloniert. Zur Stütze des Dachgebälks ist ein genietetes Zugankergebinde eingebaut.  Pofilierte Holzbretter in bräunlichem Anstrich sind als Unterverschalung des Daches benutzt. Im Kesselhaus nahm ein genietetes und geschweißtes Stahlfachwerk das heute nicht mehr vorhandene Pultdach auf. 

 Sogar ein kleiner Vorgarten wurde angelegt und mit geschliffenen Sandsteinbänken eingefasst. Es war die liebevolle Arbeit zahlreicher Menschen, die ihr Handwerk noch materialgerecht ausübten. So entstand ein würdevolles, an den Sakralbau angelehntes Gebäude, für die zum Antrieb der Generatoren vorgesehenen Dampfmaschinen.

 Zum 30.Juni 1905 um elf Uhr wurde öffentlich zur Abnahme des Werkes eingeladen. Allerdings hatte zu dieser Zeit der technische Fortschritt die Anlage bereits überholt, weil der rasch steigende Stromverbrauch die Anlage hoffnungslos überforderte. Zur Strom-erzeugung hatte man zwei Kolbendampfmaschinen der Dingler’schen Maschinenfabrik in Zweibrücken benutzt, die zwei Gleichstromgeneratoren antrieben. Gespeist wurden sie aus zwei Dampfkesseln der Fa. Rodberg in Darmstadt. Dies reichte anfangs für die elektrische Beleuchtung aus. In der Zeit des Wettstreites zwischen Petroleum- und Gaslampen mit der elektrischen Beleuchtung, war an eine bis vier Lichtstellen zu 25 Watt pro Haus war gedacht worden. Der Bedarf änderte sich mit der neuen Energieform aber schnell. Neue Nutzungsmöglichkeiten wie der elektromotorische Antrieb, der schwer zu bedienende Motorsysteme ersetzte, verbreiteten sich. Auch Bügeleisen und elektrische Herde hielten Einzug in die Haushalte und die Industrie benötigte immer mehr Elektrizität. Im Mai 1911 wurde die „Accumulatoren-Batterie“ erneuert; sie war im Keller unter den Büro- und Magazinräumen untergebracht. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete das E-Werk noch mit Betriebsüberschüssen.

 Ein Durchleitungsvertrag mit der Rheinischen Schuckert-Gesellschaft (RSG) vom 26. und 28. August 1911 zur Aufstellung von Strommasten in der Gernsheimer Gemarkung ließ die Option offen, von der RSG auch Strom beziehen zu können. Eine erste RSG-Trafostation wurde in der Zwingenberger Straße errichtet. Zum Schutz gegen herunterfallende Leitungen verlangte die Bevölkerung damals Schutznetze. 

 Das E-Werk konnte den Bedarf an Strom bald nicht mehr befriedigen. Am 1. Februar 1912 erfolgte ein weiterer Vertragsabschluss mit der RSG. Ihr war damit -gegen Zahlung einer Provision von fünf Prozent- gestattet, die Chemische Fabrik Gernsheim-Heubruch zu versorgen. Sie verpflichtete sich außerdem, der Stadt Strom in beliebiger Menge -ausge-nommen während der sogenannten Sperrzeiten an den frühen Abendstunden- zum Preis von 7,5 Pfennig pro KW/h abzugeben. Die Stadtwerke, die das umfangreiche Leitungsnetz zu unterhalten hatten, mussten zwei Gasgleichrichter mit je 150 Ampere und einen Großgleichrichter mit 250 Ampere Leistung errichten. Die Transformation von Drehstrom in Gleichstrom war mit Verlusten von bis zu 30 Prozent verbunden.

 Die Kolbendampfmaschinen waren den Anforderungen bald nicht mehr gewachsen. Auf Vorschlag von Inspektor Gondernatsch am 12. November 1912, beschloss der Gemeinderat, den Einbau eines Motorgenerator an die RSG zu vergeben. Die beiden Dampfmaschinen und Kessel wurden abgebrochen und durch ein Dieselaggregat von 125 PS ersetzt.

 Das Gesuch zum Bau der Trafostation auf dem Hof des Elektrizitätswerkes wurde am 13. September 1913 noch von der RSG eingereicht. Das Gernsheimer E-Werk wurde gleichzeitig Verkäufer und Erzeuger elektrischer Energie. Peter Jahn wurde im Dezember 1938 als Maschinenmeister in den Dienst der Stadt berufen. Er war für die technischen Versorgungsbereiche des Strom- und Wassernetzes zuständig. Ihm unterstanden einschließlich Büropersonal- durchschnittlich 15 Kräfte. Mit der kriegsbedingten Rohölverknappung wurden unter seiner Leitung ein Sauggasgenerator (Kohlevergaser) und ein Motor mit der Leistung von 75 PS installiert. Als in den Jahren 1939/40 die Rheinbrücke errichtet wurde, verlegte das Elektrizitätswerk Rheinhessen AG (EWR) als Nachfolger der RSG unter der Brückendecke eine 20kV-Leitung, um die rechts-rheinische Seite zu versorgen. Inzwischen war die Riedstraße, an der das E-Werk liegt, für eine begrenzte Zeit in Adolf-Hitler-Straße umbenannt worden.   

 Der 30 Meter hohe Schornstein des E-Werkes wurde wegen der neuen Anlagen schon lange nicht mehr benötigt. Vor Kriegsende wurde er gesprengt, um dem Gegner keinen Zielpunkt zu geben. Mit der Sprengung der Rheinbrücke am 19. März 1945 wurde das in der Brückendecke verlegte Kabel unterbrochen. Beim Artilleriebeschuss am 25./26. März 1945 wurde auch das E-Werk stark beschädigt. Es erhielt  mehrere Volltreffer, die Sauggasanlage wurde zerstört und die Gleichrichteranlage schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Stromlieferung musste zunächst ganz eingestellt werden; erst nach etwa 14 Tagen gelang es, wieder Strom -in deutlich beschränktem Umfang- an die Stadt zu liefern. Mit den noch betriebsfähigen Einrichtungen konnte nur noch ein Siebtel des Bedarfs gedeckt werden.

 Am 13. Juni 1945 stellte Bürgermeister Lichtel dem Betriebsleiter Peter Jahn mehrere Berechtigungspapiere aus, damit er das nötige Material besorgen konnte, um das zerstörte E-Werk wieder aufzubauen. Bei dem Wiederaufbau wurde das Dach über dem Kessel- haus erhöht. Es entstand ein Walmdach, das mit Betonziegeln gedeckt wurde. Man kam zu dem Ergebnis, dass die Verbindung von Eigenerzeugung und Fremdbezug weiterhin für die Stadt rentabel blieb.

 Unter großem Einsatz gelang die Wiederherstellung und Inbetriebnahme des Elektrizitätswerkes nach der Zerstörung.  Umso schwerer war es für die Stadt, zu erkennen, dass die Anlagen nicht mehr leistungskräftig waren. Es wurde immer noch Gleichstrom erzeugt und umgeformt, der allerdings nur mit großen Verlusten im Netz verteilt werden konnte. Gernsheim hielt lange an der Gleichstromversorgung fest und plante 1950 gar, noch eine weitere Gleichrichteranlage zu er-richten. Das hessische Ministerium für Arbeit, Landwirtschaft und Wirtschaft führte dagegen Bedenken an. Die Gremien der Stadt beharrten aber weiterhin auf der Verwendung von Gleich-strom.

 Die Umstellung auf Drehstrom entpuppte sich als äußerst kostspielig, da das Verteilernetz komplett neu errichtet werden musste. Man überlegte, Gas für Kochzwecke einzuführen und auch das E-Werk zu verkaufen. Nach ersten Verhandlungen mit dem EWR im Jahre 1951 beschloss der Magistrat, das E-Werk weiterhin in eigener Regie zu bewirtschaften. In diesem Jahr wurde ein 20kV-Kabel durch das Rheinbett verlegt, um weiteren Strom zur Umformung ins E-Werk einzu-speisen.

 Die Netzumstellung war für die Stadt finanziell nicht tragbar. Außerdem wurden die Dieselaggregate durch die Rohölverteuerung unrentabel. Auch die Sauggasanlage arbeitete -trotz Bemühungen der Lieferfirma- sehr unzuverlässig. Schweren Herzens mussten die Verantwortlichen sich mit den Erkenntnissen einer Rentabilitätsberechnung abfinden, wonach das E-Werk auf Dauer nicht mehr zu halten war, wollte man das Netz komplett auf Drehstrom umstellen. Alle Verbrauchsgeräte mussten nun ausgewechselt, oder soweit  möglich angepasst werden werden.

 Bürgermeister Georg Schäfer und der damalige Direktor Göbel vom EWR führten lange Verhandlungen über die komplizierten Übernahmebedingungen. Die Versorgung wurde im Juli 1953 an das EWR Worms übertragen, alle Geräte und Netzleitungen wurden verkauft. Das EWR übernahm das Personal. Von der technischen Einrichtung im E-Werk wurde vieles verschrottet. Gernsheim jedoch zog auf Dauer einen großen Nutzen aus der Belie- ferung mit Strom durch einen kompetenten Partner. Das EWR übernahm 1954 die Kosten für die Errichtung der neuen Straßenbeleuchtung und tauschte den Bürgern die Gleich-strom- gegen Wechselstrommotoren aus. Bald war auch das gesamte Stadtgebiet mit Dreh- und Wechselstrom versorgt und die Nachteile der Gleichstromversorgung damit behoben.

 Die weitere Nutzung des „Alten E-Werks“

 Nur noch wenig wurde am Gebäude verändert, aber auch nur wenig repariert. Das Wohnhaus beherbergte zunächst ehemalige Mitarbeiter des E-Werkes und des Bauhofes, später auch sozial schwache Bürger. Der hallenartige Komplex war durch Zwischenwände geteilt und ab den fünfziger Jahren noch von  den Arbeitern der Reparaturwerkstatt der städtischen Wasserversorgung genutzt, diese wird in Gernsheim heute noch als „Wasser- werk“ erinnert. Als 1970 der angrenzende Faselstall abgerissen wurde, zogen die Arbeiter in die an dessen Stelle neu errichtete Halle ein. Lange Zeit nutzte das Rheinische Fischer- fest das E-Werk als Lager. Hier wurden auch die Figuren des Wasserkorsos gebaut.

 Als man das Kesselhaus schon aufgegeben hatte, erwarb Mario Derra das Gebäude. Das Dach war undicht, die Eisengitterfenster verrostet. Überall bröckelte der Verputz von den Wänden. In acht Metern Höhe rosteten riesige Wassertanks im Dachgebälk. Zahlreiche Eisenhalterungen ragten aus den abblätternden Wänden. Der Eingang war mit Hohlblock-steinen abgemauert, um ein Kunststoffenster aufzunehmen. Die Sandsteingewände waren beschädigt. Wandplatten waren abgerissen und neue Mauerdurchbrüche geschaffen. Auch Maschinen- und Wohnhaus waren von Spuren der Achtlosigkeit gezeichnet.

 Für die Nutzungsänderung und die geplanten Reparaturen war ein teueres und umfang-reiches Genehmigungsverfahren durchzuführen. In Abstimmung mit dem Landesamt für  Denkmalpflege wurden zwei Zwischendecken eingezogen, ein Treppenhaus errichtet und notwendige Mauerschließungen und -öffnungen vorgenommen. Aus Sicht des Landes- amtes für Denkmalpflege waren die Restaurierung der Kachelwand, der Eisengitterfenster und des Eingangsbereiches vordringliche Aufgabe. Über 2000 Kacheln wurden von Hand gefertigt und neu verlegt. Besonders problematisch war dabei, dass bei den noch erhal- tenen Fliesen, die heute in der Verwendung verbotene Verbindung Bleiglätte eingesetzt worden war. Im ursprünglichen Holzbrandverfahren ergab sich durch den Aschenflug ein natürliches Farbspiel. Daher galt es, mit den umweltverträglichen Erdalkalirohstoffen einen ähnlichen Effekt im sterilen Elektrobrand nachzuahmen. Brand- und Trockenschwindungen waren zu kalkulieren, eigens eine Strangpressvorrichtung zu bauen. In über 1000 Arbeitsstunden entstand die Ergänzung der Fliesen im Maschinenhaus.   

Aufnahmen der Renovierung: 

 Ähnlich arbeitsintensiv gestaltete sich die Sanierung der Eisengitterfenster. Alle Metallteile mussten zuerst freigelegt werden, 600 Einzelscheiben waren neu zuzuschneiden und einzukitten. Der zugemauerte Eingang wurde wieder geöffnet, eine Zentralheizung eingebaut. Die gesamten Dachflächen über dem Kesselhaus waren zu erneuern. Für die ersten Maßnahmen stellte das Ministerium für Wissenschaft und Kunst einen Zuschuss zur Verfügung.

 Der Art-déco-Fries im Maschinenhaus war von dem Malermeister Kissel im Jahr 1913 aufgebracht worden und war unter dem Staub der Jahrzehnte noch fast vollständig erhalten. Bei einer vom Landesamt für Denkmalpflege in Auftrag gegebenen restauratorischen Voruntersuchung im Juli 1998 kam ein noch älterer Jugendstilfries zum Vorschein, der aus der Zeit der Erbauung stammt. Restauratorin Andrea Frenzel fand diese weitere Gesimsverzierung, die mit differenziert breiten Bändern in ultramarinblauer Farbe auf einen weißen Kalkgrundanstrich gelegt wurde. Das Band war mit einem oberen und einem unteren Abschlussstrich in roter Farbe eingefasst.

  Mit der Sanierung wurde das E-Werk zum Druckmuseum und Künstleratelier. Am 15. Mai 1998 wurde das Lehrmuseum im E-Werk im Beisein zahlreicher Vertreter von Druckmuseen eingeweiht. Im September 1998 bot es der zentralen Veranstaltung des hessischen Landesamtes für Denkmalpflege zum Tag des offenen Denkmals Raum. Im Schöfferjahr 2003 war das E-Werk Ort für Referate und Ausstellungen.

 In dem Raum für die Dampfspüle ist die Druckwerkstatt für die Farbradierungen eingerichtet. Die lithographische Technik wird mit zahlreichen Belegstücken im ehemaligen Kohlelager und in einem Teil des Kesselhauses dokumentiert. Zwei um 1910 gebaute Steindruckschnellpressen von Steinmesse und Stollberg (Nürnberg) und Faber und Schleicher (Offenbach) fanden dort ebenso ihren Platz wie eine eiserne Andruckpresse von Krause. Die Sammlung enthält zudem zahlreiche lithographische Steinplatten mit Motiven der Wende zum 20. Jahrhundert mit einigen Fossilfunden aus dem bayerischen Altmühltal und zahlreichem Werkzeug für den Steindruck.   

Transport der Druckpressen 

 

 Im Kesselhaus ist weiter eine Buchdruck-Schnellpresse der Fa. Hamm, der Vorläuferfirma der Heidelberger Schnellpressen AG, aus dem Jahr 1901 zu sehen. Mit dieser historischen Hochdruckpresse arbeitete der Gernsheimer Schweizerdegen (Buchdrucker und Schriftsetzer) Ludwig Tragesser noch Ende der 1970er Jahre. Eine Auswahl an Blei- und Plakatschriften in Setz- und Steckkästen sowie Handtiegel ergänzen den Buchdruckbereich. Ebenfalls wurde eine Lichtdruck-schnellpresse aus der Werkstatt von Albin Lucas (Leinfelden-Echterdingen) aufgebaut. Diese wurde in Jubiläumsjahr von der Leiterin des Mainzer Gutenberg-Museums Dr. Eva Hanebutt-Benz wieder in Betrieb genommen. Im gleichen Jahr gab die Hochschule für Gestaltung eine großformatig Lithopresse ab, die ebenfalls im E-Werk ihren Platz fand. Im Obergeschoss des Kesselhauses befindet sich ein Exemplar der von Mario Derra geschaffenen größten Lithographie der Welt: "Massentourismus an den zwölf Aposteln". Neben der Lithographie wird auch der bedeutendste Mitarbeiter Gutenbergs, Peter Schöffer (Gernsheim 1425 – Mainz 1503) Gegenstand von Publikationen und Vorträgen von Mario Derra. Ein reger thematischer Austausch mit dem Gutenberg-Museum in Mainz und dem Early Printing Museum in Cheongju, Koreanische Republik entsteht.